«Meine Befreiung aus der grausamen Stopfleberproduktion»
Die Geschichte von Mularden Ente Joy und wie er der grausamen Stopfleberindustrie entkam.
«Ich bin eine sogenannte «Mularden Ente», eine Kreuzung zwischen der Barbarie-Ente und der Pekingente. Diese Kreuzung hat zum Zweck, eine grössere Ente zu züchten, die schneller eine grössere Stopfleber entwickeln kann. Ich bin im November 2018 in einer industriellen Brüterei der französischen Stopfleberindustrie geschlüpft. Meine Schwestern wurden sofort aussortiert. Da ihre Lebern mehr Nervenzellen enthalten, gelten die Weibchen als weniger rentabel und werden daher geschreddert, vergast, oder zu einem tiefen Preis an die Fleischindustrie verkauft.
Aber auch bei den Männchen wird eine Auswahl getroffen, denn die Züchter sind auf eine hohe Produktivität aus, weshalb sie nur die besten behalten. Ich war nach dem Schlüpfen deutlich kleiner als die anderen männlichen Küken. Da ich also voraussichtlich weniger rentabel gewesen wäre, wurde ich aussortiert. Doch, mein zierlicher Körperbau hat mich gerettet. Ein anderer meiner Artgenossen wurde ebenfalls aussortiert, weil sein Gefieder eher schwarz als weiss war – ein Anzeichen dafür, dass sich eine Ente schwieriger stopfen lässt. Unsere Abweichungen von der Norm wären normalerweise unser Todesurteil gewesen – aber hier hatten wir Glück: Eine Person, die in der Brüterei arbeitete, in der ich schlüpfte, konnte uns in Sicherheit bringen. Wir waren 40 Glückspilze, alles «nicht konforme» Männchen, auf die ein brutales Ende gewartet hätte. Wir wurden in ein Tierheim gebracht, wo Pflegefamilien auf uns warteten. Einige Stunden später brachte man uns beide zu einer Frau, die uns bei sich aufnahm und uns die Namen Jay und Joy gab.
Wäre ich jedoch etwas kräftiger und Jays Gefieder etwas heller gewesen, hätten auch wir den «normalen» Weg der Stopfleberindustrie einschlagen müssen, so wie leider all unsere Artgenossen, die an dem Tag ausgewählt wurden – und so wie Millionen anderer Enten und Gänse, die Jahr für Jahr ausgebeutet werden. Dann sinkt die eigene Lebenserwartung drastisch. Während in einer geeigneten natürlichen Umgebung eine Ente unserer Art bis zu 20 Jahre alt werden kann, beträgt die Lebensdauer der durch die Stopfleberindustrie ausgebeuteten Enten etwa 14 Wochen – wenn alles gut geht. In den ersten 12 Wochen können sich Hunderte von Enten «frei» entwickeln, oft in Hallen, seltener im Freigehege. So oder so können sie jedoch keine stabilen Gruppen bilden und sich wohlfühlen, da die Enten alle gleich alt und sehr zahlreich sind. Danach kommen die beiden Wochen der Stopfmast, in denen die Enten zu fünft oder sechst in einem Käfig eingesperrt werden.
Stellen Sie sich das vor! Dutzende Enten in unbequemen Metallkäfigen, die so eng sind, dass sie kaum einen Flügel bewegen können. Sie können sich nicht einmal hinlegen und ihre Muskeln etwas entspannen. Geschweige denn, dass sie einmal herauskönnten, um schwimmen zu gehen. Obwohl wir doch so gerne schwimmen. Es liegt uns im Blut. Um uns wohlzufühlen, müssen wir uns an der frischen Luft bewegen und im Wasser nach Nahrung suchen können. Im Gegensatz zu mir – meinem Schicksal knapp entkommen – werden Stopfmastenten dieses Glück niemals erleben. Sie verbringen den Rest ihres kurzen Lebens eingeschlossen in ihrem Käfig.
Diese Freiheitsberaubung verfolgt nur ein Ziel: die Leber aller in den Käfigen eingesperrten Enten wachsen zu lassen. Denn die Leber einer normal ernährten Ente würde niemals so gross werden, wie es für die Produktion der berühmten Stopfleber, der Foie Gras, ist. Damit sich die Leber der Enten so schnell wie möglich mit Fett anreichert, greifen die Produzenten auf die Stopfmast zurück. Eine sehr schmerzhafte Methode, die all meine Artgenossen durchlaufen müssen.
Lassen Sie mich kurz erklären, worum es dabei geht: Bei dieser Methode der Zwangsfütterung, der Stopfmast, wird ein Metallrohr in die Speiseröhre der Enten geschoben, um sie zu zwingen, viel mehr als normal zu fressen. Zweimal am Tag wird eine astronomische Menge Maisbrei mit einer Hydraulikpumpe direkt in den Kropf gepumpt, eine Aussackung direkt vor dem Magen. Manchmal kommt es vor, dass diese Aussackung platzt, was den sofortigen Tod für die Ente bedeutet. Denn das Rohr wird in der Regel nicht gerade sanft eingeführt. Angesichts der grossen Zahl an Enten muss es schnell gehen. Diese Prozedur verursacht sehr schmerzhafte Verletzungen, die nicht einmal Zeit haben zu verheilen. Denn das Rohr wird immer wieder in den Hals gesteckt, mehrmals am Tag. Und mit ihm eine Breimenge, die jeden Tag kontinuierlich erhöht wird. Bei einem Menschen wäre das so, als ob er 5 Kilo gekochte Nudeln auf einen Schlag zu sich nehmen würde. Erinnern Sie sich an das letzte Mal, als Sie zu viel gegessen hatten? Nehmen Sie dieses Gefühl mal zehn. So fühlen sich diese Enten, zweimal am Tag, 2 lange Wochen lang. Eine regelrechte Folter ist das.
Tag für Tag kommen die Produzenten ihrem gewünschten Ziel etwas näher: Die Leber der Enten wächst und reichert sich mit Fett an. Sie wächst in dem Masse, dass sie im Brustkorb der Enten enorm viel Platz beansprucht und auf die Lungen drückt. Bei manchen Enten ist die Leber um das 10-fache vergrössert und so schwer, dass die Tiere sich nicht mehr aufrecht halten können. Sie sind bereits erschöpft vom Stress der Gefangenschaft und können nicht mehr richtig atmen. Sie keuchen wegen chronischer Atemnot. Ihr zerzaustes Gefieder ist wegen des häufigen Reibens an den Gitterstäben in Mitleidenschaft gezogen und dunkel verfärbt; ausserdem kleben daran getrocknete Spritzer vom Maisbrei. Ihre Füsse weisen häufig Verletzungen auf, die durch den Drahtgitterboden der Käfige verursacht werden. Dieses Gitter soll die grosse Menge an Exkrementen, die bei dieser Ernährungsart produziert werden, durchlassen. Nach qualvollen Wochen sind die Enten am Ende ihrer Kräfte angelangt und haben das von den Produzenten angestrebte Ziel wider Willen erreicht.
Wenn ich etwas kräftiger gewesen wäre, dann wäre das meine Geschichte gewesen. Aber dann hätte ich sie nicht erzählen können. Also nehme ich meine Rettung zum Anlass, um im Namen meiner Artgenossen zu sprechen. Jedes Jahr ertragen Millionen von Enten dieses Leid und führen ein sehr kurzes, wirklich erbärmliches Leben. Insgesamt schlüpfen in den Brütereien Jahr für Jahr 80 Millionen Enten. Davon werden 50 Millionen für die Stopfmast verwendet – 30 Millionen werden wegen ihres Geschlechts oder wegen ihrer Abweichungen von der Norm sofort getötet. All dieses Leid, nur um die berühmte «Foie Gras» zu produzieren, ein vermeintlich glamouröses und luxuriöses Produkt. Denn wie ich schon erklärt habe, ist das, worüber die Konsumenten wegen der gaumenschmeichelnden Zartheit in Verzückung geraten, in Wahrheit das Produkt einer kranken Leber, erzeugt mit grausamen Methoden.
Jay lebt heute nicht mehr: Zwei Monate nach seiner Rettung erlag er dem Angriff eines Wildtiers. Trotzdem konnte er, da er seinem Schicksal entkommen war, einige schöne Wochen in Freiheit und ganz nach seinen Bedürfnissen geniessen. Was mich angeht, so lebe ich immer noch bei der Frau, die mich bei sich aufgenommen hat. Ich habe es geschafft, dass meine Artgenossen mich in ihrer Gruppe akzeptieren. Zusammen verbringen wir unsere Tage in aller Ruhe am und im Teich, umgeben von Grün und Natur.»